Das deutsche Gesundheitssystem steht vor einer Vielzahl an Herausforderungen: Krankenhäuser und Pflegeheime ächzen unter Personalmangel, Patient:innen warten oft lange auf Facharzttermine, auf dem Land mangelt es an Ärzt:innen und bei Medikamenten kommt es immer häufiger zu Lieferengpässen. In Großstädten sind die regionalen, medizinischen und ambulanten Versorgungsangebote sehr unterschiedlich ausgeprägt, sodass es in spezifischen Stadtteilen zu Unterversorgung kommt und Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Klimawandel bringen darüber hinaus immer neue Fragen für die Gesundheitsversorgung mit sich.
Im Gesundheitspolitischen Kolloquium diskutieren wir zu diesen Herausforderungen, vor denen die Gesundheitsversorgung in Deutschland aktuell steht. Wir blicken dabei auf Prävention und Lösungsansätze wie Reformen, andere Versorgungsmodelle oder lokale Initiativen. In unseren Veranstaltungen diskutieren wir, wie Gesundheitspolitik gestaltet werden muss, um Gesundheitsversorgung zu garantieren und gerechter zu machen und Gesundheitsförderung zu ermöglichen. Dazu laden wir Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis ein und richten uns mit unseren Veranstaltungen an alle Bremer Bürger:innen, die sich mit aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen beschäftigen und mit uns und unseren Gästen in den Dialog treten möchten.
Unsere Veranstaltungen finden zu festen Terminen mittwochs von 18 – 20 Uhr im Haus der Wissenschaft statt, das zentral in der Bremer Innenstadt liegt. Die anschließenden Diskussionen werden von Prof. Heinz Rothgang und Prof.in Eva Quante-Brandt moderiert. Der Eintritt ist frei und die Veranstaltungen für alle Interessierten offen.
Programmübersicht Sommersemester 2024
17.04.2024, 18-20 Uhr
HebammenZentren Bremen – Niedrigschwellige Hebammenversorgung vor Ort
Heike Schiffling
Koordinatorin HebammenZentrum West, Hans-Wendt-Stiftung
22.05.2024, 18-20 Uhr
Glücksspielsucht – politische Gegenstrategien zur Vermeidung von individuellen und gesellschaftlichen Negativfolgen
Dr. Tobias Hayer
Forschungsstelle Glücksspiel, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen
05. Juni 2024, 18-20 Uhr
Klimawandel und Gesundheit – Der Bremer Hitzeaktionsplan
Vincent Möller
Die Senatorin für Umwelt, Klimawandel und
Wissenschaft, Referat 43 "Anpassung an den Klimawandel"
12. Juni 2024, 18-20 Uhr
Der Landespflegebericht Bremen 2023 – Stand und Entwicklung der pflegerischen Versorgung im Bundesland
Benedikt Preuß und Prof. Dr. Heinz Rothgang
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Universität Bremen
GPK 06.12.2023
Gesundheitspolitisches Kolloquium zum Thema „Gesundheit und Gesundheitsversorgung von LSBT*Q - gesundheitliche Chancengleichheit“
„Bei der Diversität haben wir einen Nachholbedarf"
Auf wieviel Vielfalt kann das Versorgungssystem reagieren? Mit dieser Frage befasste sich das Gesundheitspolitische Kolloquium des SOCIUM bei seiner letzten Veranstaltung in diesem Jahr. Für das Thema „Gesundheit und Gesundheitsversorgung von LSBT*Q - gesundheitliche Chancengleichheit“ war als Referent der Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V., Thomas Altgeld, eingeladen.
Moderiert wurde der Abend von Prof. Eva Quante-Brandt. Zu Beginn weist die ehemalige Gesundheitssenatorin noch einmal auf die Wichtigkeit des Themas hin. Quante-Brandt: „Das Thema ist sehr breit angelegt. Seit 1991 ist die sexuelle Orientierung bei der WHO nicht mehr als Krankheit gelistet. Daran sieht man, dass wir bei Diversität einen Nachholbedarf haben. Wir freuen uns deshalb sehr, Thomas Altgeld hier begrüßen zu dürfen. Er ist jemand, der sich bei sozialer Gesundheit sehr engagiert. Es ist gut, dass es Menschen in dem Bereich gibt, die über den Tellerrand gucken können.“
Altgeld betont in seinem Vortrag, dass Diversität auch wirklich Diversität bedeutet und man es nicht einfach mit Schlagworten eingrenzen kann. Er sagt: „Schwule Männer und lesbische Frauen sind auf den ersten Blick gemeinsam. Aber beim genaueren Hinschauen sind sie eine Gruppe, die wieder auseinanderfällt. Beispielsweise haben Männer mit einem höheren Bildungsstandard eine höhere Lebenserwartung, als schlecht gebildete Frauen.“ Laut einer Studie ist zudem bei queeren Personen das Risiko an Depressionen zu erkranken dreimal so hoch, wie bei cis-hetero Personen. Dazu leiden queere Personen doppelt so oft an Schlafstörungen.
Altgeld kennt sich in der Szene aus. Er hat zwischen 1980 und 1992 die Hamburger Aidshilfe geleitet und ist im Vorstand des Bundesforum Männergesundheit. Der Experte plädiert deshalb für eine Bewegung auf allen Ebenen: „ Wir haben in Deutschland noch immer das Transsexuellen Gesetz von 1980. Es ist in Europa das rückschrittlichste Gesetz dieser Art. So müssen beispielsweise zwei Gutachter die Person in Augenschein nehmen. Was die Betroffenen bei den Tests erleben, ist eine Form von Diskriminierung.“
Auch die aktuelle Situation und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erfüllt ihn mit Sorge. Altgeld: „Es gibt eine zunehmende Hasskriminalität, die sich auch auf die Gesundheit auswirkt. Es ist ein Thema, bei dem Handlungsbedarf besteht.“
Ebenfalls spricht er an, dass lesbische Frauen immer im Windschatten gesehen werden. So gäbe es keine große Studien zur lesbischen Gesundheit. Altgeld: „Die Datenlage ist schlecht in dem Bereich.“
Wichtig ist es ihm sowie den Zuhörer:innen an diesem Abend, dass die betroffenen Personen mehr in die Diskussionen einbezogen werden. Der Experte: „Die Sensibiliserung für das Thema ist wichtig. Der Punkt, der mich auch immer umtreibt ist, redet man mit den Gruppen oder redet man nur über sie?“
In der anschließenden Diskussion wünschen sich die Gäste im Publikum unter anderem, dass es mehr Ärzt:innen gibt, die auf diese Gruppen spezialisiert sind. Doch auch in der Notfallmedizin, wie beispielsweise bei der Ausbildung von Rettungssanitäter:innen, müsse das Thema stärker Beachtung finden.
Altgeld: „Es wurde schon viel erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun in dem Bereich.“
Das Gesundheitspolitische Kolloquium verabschiedet sich jetzt in die Weihnachtspause und ist am 10. Januar wieder da. Dann referiert die Koordinatorin Gesundheitstreffpunkte e.V., Christina Kisner, über das Thema „Quartiersbezogene Gesundheitsversorgung in Bremen am Beispiel LIGA-Gröpelingen“.